Die Vielfalt von Kultur- und Wildpflanzen ist bedroht – global und lokal. Bauliche Veränderungen in einer Landschaft führen oft zum Rückgang ursprünglicher Lebensräume und damit zum Verlust vieler charakteristischer Tier- und Pflanzenarten.
Regionales Handeln
Mit Wissen um Standorte und in Zusammenarbeit mit Fachleuten kann den drohenden Verlusten entgegengehalten werden. Ein Beispiel dafür ist die „Grenchner Witi“, eine einzigartige Landschaft zwischen der Stadt Grenchen und der Aare, durch die heute die untertunnelte Autobahn A5 führt. Als Voraussetzung für die mit 150 Mio. Franken realisierte Untertunnelung (1994 - 2002) wurde die kantonale „Witi-Schutzzone“ zur Erhaltung der speziellen Tier- und Pflanzenwelt ausgeschieden. Bereits zuvor wurde die Riedlandschaft – bis auf Restbestände – durch die Juragewässerkorrektionen und Meliorationen zu Ackerland verändert. Die kleinen, oft wenig zusammenhängenden Relikte der ursprünglichen Riedlandschaft will die Abteilung Natur und Landschaft am Amt für Raumplanung des Kantons Solothurn in einem Aktionsplan (2011 - 2015) erhalten, aufwerten und ökologisch vernetzen.
Sag mir wo die Blumen sind

Auf den weiten Flächen des neuen Kulturlandes sind die ursprünglichen Riedpflanzen verschwunden. Nur an wenigen Orten der „Grenchner Witi“ überlebten in kleinen Nischen wenige Arten der Riedvegetation. Beispielsweise befand sich da, zu Beginn des Aktionsprogrammes, in einer Art „Arche Noah“ Schweiz weit das letzte natürliche Vorkommen des
Hohen Veilchens Viola elatior (Foto: Jonas Lüthy).

Daneben gediehen weitere seltene Arten wie die Gelbe Wiesenraute Thalictrum flavum (Foto: Jonas Lüthy), die Sumpf-Wolfsmilch Euphorbia palustris und der Riesen-Ampfer Rumex hydrolapathum. Hingegen wuchsen der Kantige Lauch Allium angulosum und der Lungen-Enzian Gentiana pneumonanthe nur noch im nahen Berner Naturschutzgebiet Meienried bei Büren an der Aare. Innerhalb der neuen Renaturierung und Vernetzung der einzelnen, kleinen Ökosysteme sollten die seltenen oder gar verlorenen Pflanzen wieder angesiedelt und heimisch werden. Eine Voraussetzung zur Wiederansiedelung war, dass ausreichend Pflanzen herangezogen werden können.
ex situ-Vermehrung
Ausserhalb des ursprünglichen Ortes (ex situ), in Heinrichswil, bei der Wyss Baumschule, wurden aus Pflanzensamen, die die Abteilung Natur und Landschaft des Kantons Solothurn am originalen Standort kontrolliert einsammelte, kleine Pflanzen herangezogen. Gut gediehen die Hohen Veilchen, der Riesen-Ampfer sowie weitere der gesuchten Riedpflanzen. Nach ihrer „Kinderstube“ in der Baumschule Wyss konnten diese in Pflanzaktionen mit Unterstützung Naturinteressierter vom Verein Vogel- und Naturschutz Grenchen VNSG erfolgreich ausgepflanzt werden.
Widerspenstige Sumpf-Wolfsmilch

Allen Bemühungen der Gärtner widersetzte sich die Sumpf-Wolfsmilch. Keimerfolge blieben, trotz Berücksichtigung aller Gesetzmässigkeiten, die für „Kaltkeimer“ gelten, aus. Ihre Aussaat verlangt vom Kultivator viel Geduld und gärtnerische Tricks wie beispielsweise eine Behandlung mit dem pflanzlichen Hormon Gibberellinsäure. Jedes der raren Samenkörner stand unter Beobachtung und siehe da: Erste Keimerfolge stellen sich ein, erste Pflänzchen gedeihen in der „Kinderstube“ Wyss Baumschule bis zur Wiederansiedlung in der „Grenchner Witi“. Die Aussichten, dass die Erhaltung und Ansiedlungen dieser und weiterer der bedrohten Pflanzenarten erfolgreich verlaufen sind optimistisch, auch wenn die Euphorbie die Euphorie bremst!
Wyss Samen und Pflanzen AG, Dr. Maurin Oberholzer