„Wenn wir genau hinschauen wollen, sind wir aufmerksamer. Wenn wir achtsam und respektvoll gegenüber der Natur sind, sind wir es auch gegenüber den Menschen. Ikebana ist auch eine Charakterschulung“. – Worte von Marie-Louise Johann zu Beginn des Ikebana-Workshops bei Wyss. Worte, bei denen man augenblicklich die bereitstehenden Blumen anders wahrnimmt.
Als Pflanzenliebhaberin und Hobby-Floristin freut es mich enorm, dass mein Arbeitgeber Ikebana ins Kursprogramm 2012 aufgenommen hat. Ich kenne Ikebana lediglich von Büchern, bin jedoch von der fantastischen Kunst angetan. Die Möglichkeit, mit so wenig so grosse Wirkung erzielen zu können, begeistert mich. Es versteht sich von selbst, dass ich nach 2 Stunden keine Ikebana-Könnerin bin; die Begeisterung dafür ist aber weiter gewachsen. Gerne lasse ich Sie teilhaben am Gespräch, das ich mit der Kursleiterin über Ikebana führen durfte.
Interview mit Marie-Louise Johann, Ikebana-Lehrerin an der Ikenobo Ikebana Schule Schweiz
Frau Johann, was genau ist Ikebana?
Unter Ikebana versteht man die japanische Kunst, Blumen lebendig zu gestalten. Es ist ein Weg, eine meditative Tätigkeit. Die Natur ist die Richtschnur des Schönen. Es ist eine bestimmte Technik mit festen Regeln, die aber Raum für freies Gestalten lassen. Blumen und Zweige, Knospen, Blüten und Blätter, verbinden sich harmonisch mit dem Gefäss und dem Raum, mit der Jahreszeit – und mit der Stimmung des Gestalters. Ikebana ist ein Zwiegespräch zwischen dem Arrangierenden und dem Betrachtenden. Es kennt keine Gleichförmigkeit; es verkörpert Dynamik und Lebendigkeit. Im Lauf der langen Geschichte des Ikebana wurden verschiedene Stile entwickelt: traditionelle und moderne Rikka, traditionelle und moderne Shôka und innerhalb dieser Stilrichtungen wiederum verschiedene Formen sowie verschiedene freie Stile. Immer im Wandel der Zeit und trotzdem der Tradition verpflichtet.
Seit wann kennt man Ikebana?
Der Ursprung geht ins sechste Jahrhundert zurück, als die Lehre des Erleuchteten und die Sitte des religiösen Blumenopfers nach Japan kamen. Ono-no-Imoko, ursprünglich Gesandter des Prinzen Shotoku (Erbauer des Rokkakudo-Tempels in Kyoto), wurde buddhistischer Mönch. Er wohnte in einer Hütte am Teich (ike-no-bo) und arrangierte täglich Blumenopfer. Im 15. Jahrhundert wurde die Bezeichnung Ikenobo auf die Schule übertragen. Das Blumenstellen entwickelte sich zur Blumenkunst mit Wettbewerben und Ausstellungen. Die ältesten noch vorhandenen Schriften stammen aus dem Jahr 1462. Die Ikenobo Ikebana Schule feiert 2012 ihr 550 Jahr Jubiläum. Der Vorsteher des Rokkakudo- Tempels und Leiter der Schule in Kyoto ist Ikenobo Sen'ei, der 45. Nachfolger aus der Gründerfamilie.
Was macht Ikebana aus?
1. Natürlichkeit
2. Harmonie
3. Schlichtheit
4. Asymmetrie (Dynamik – Lebendigkeit – Akzent)
5. Unvollendetheit (aufhören können)
6. Vergänglichkeit (gehen lassen – nichts ist für die Ewigkeit bestimmt)
Wie geht man am besten an ein Werk heran?
Sich Zeit nehmen, wenn möglich nach draussen gehen, beobachten, genau hinschauen. Was besonders gefällt mitnehmen und versuchen, daraus eine ansprechende Kombination zu erschaffen. Im „Freistil“, den wir im heutigen Workshop gearbeitet haben, werden 4 - 6 verschiedene Materialien verwendet. Im Stil Shôka Shinputai, ebenfalls einer modernen Form, sind es 2 - 3. Eines bildet immer das Hauptelement. Dieses gilt es zu betonen. Das kann eine Blume sein, ein Zweig oder auch ein Blatt. Blumen, Zweige und Blätter haben eine Sonnen- und eine Schattenseite. Die Sonnenseite zeigt in diesen Stilen zur betrachtenden Person. Dann kommen auch die Punkte der vorherigen Frage zum Zug. Gesteckt wird meist auf einen sogenannten „Blumen-Igel“ (Kenzan). Bei hohen Gefässen heben wir diesen mit Hilfe kleiner Steinchen an. Vor allem bei der Form „Shôka Shinputai“ ist es von Bedeutung, dass man die Wasseroberfläche sieht.
Was gilt es bei der Gefässwahl zu beachten?
Für den freien Stil eignet sich praktisch jedes Gefäss. Für Shôka werden meist solche aus Keramik verwendet. Es sollte eher zurückhaltend sein – nicht das Gefäss ist der Schmuck, sondern die Blumen.
Wie kamen Sie zu Ikebana?
Auf der Suche nach schlichter, natürlicher und saisonaler Blumengestaltung sah ich eine Demonstration unserer Meisterin Shunsuen Suzue Rother-Nakaya. Ich war so beeindruckt, dass ich mich sofort für den Ikebana-Unterricht anmeldete.
Inzwischen blicken Sie auf eine über 20-jährige Ikebana-Erfahrung zurück. Ist Ikebana auch Trends unterworfen?
Ja, auch bei Ikebana kennen wir Trends. So ist heute vor allem wieder gefragt, was uns „zurück zur Natur“ bringt. Dies drückt sich in der Wahl der Pflanzen aus, in den Bewegungen und in der Schlichtheit der Gefässe.
Welche Blumen und Pflanzen werden bei Ikebana verwendet?
Es gibt Pflanzen, welche speziell zu den traditionellen Festen arrangiert werden, z. B. Kiefer, Bambus und Pflaume zum Neujahr, Pfirsichblüten zum Mädchenfest, Iris zum Knabenfest, etc. Für die modernen Stile dürfen der Form entsprechende Pflanzen aus einheimischer oder gezüchteter Kultur und auch gemischt mit exotischen Pflanzen verwendet werden.
Gibt es Blumen beziehungsweise Pflanzen, die bei Ikebana keinen Platz haben?
Früher wurde ein Ikebana zur Begrüssung eines Gastes gearbeitet, deshalb wurden stachlige oder verblühte Pflanzen vermieden. Heute werden dem Anlass entsprechende Pflanzen verwendet.
Mit welchen Blumen arbeiten Sie am liebsten?
Da kann ich keine speziellen nennen; ich mag das am liebsten, was uns die Jahreszeit jeweils gerade schenkt.
Welche Voraussetzungen braucht es, um Ikebana lernen zu können und wie lange dauert es, bis man ein ansprechendes Werk gestalten kann?
Das Wichtigste ist: Freude und Geduld haben und die Bereitschaft, sich führen zu lassen. Ikebana zu gestalten heisst üben, üben ... Jede Pflanze sieht je nach Jahreszeit anders aus. Es gibt nie ein zweites Arrangement, das gleich aussieht. Man lernt Ikebana nicht schnell, aber wir haben ja ein Leben lang Zeit, um immer wieder dazuzulernen.
Wir beginnen üblicherweise mit 6 x 2 Std. die Grundlagen für den freien Stil in der Schale zu üben. Sonnen- und Schattenseite, Linienführung, Akzente setzen, Stimmung verarbeiten, Eindrücke aus der Natur umsetzen etc. Die verschiedenen Stile werden langsam auf- und ausgebaut.
Kann ich Ikebana auch anhand eines Buches erlernen?
Bücher dokumentieren die Vielseitigkeit und Schönheit – sie können auch inspirierend sein. Aber Werke aufgrund von Fotos nachzuarbeiten, ist nicht empfehlenswert. Sie können vielleicht die Technik und die Theorie aus einem Buch lernen, aber das macht Ikebana nicht aus. Es geht darum, den Blumenweg unter Anleitung und mit den Erfahrungen eines Lehrers/einer Lehrerin zu gehen und in die Tradition von Ikenobo eingeführt zu werden.
Zum Schluss, was bedeutet Ihnen Ikebana persönlich?
Zeit nehmen, Beobachten der Umgebung und des natürlichen Wachstums der Pflanzen, intensives Wahrnehmen der Jahreszeiten, Harmonie und innere Ruhe erreichen.
Einmal ist bekanntlich keinmal, oder nicht?
Nach dem Einführungsworkshop und dem Interview geht es mir fast ein wenig wie Frau Johann als sie zu Ikebana fand. So hoffe ich, dass im künftigen Kursprogramm von Wyss aus dem zweistündigen Schnupper-Workshop mehr wird. Dass die Chancen dafür nicht schlecht stehen, wurde mir bereits kundgetan …
Wyss Samen und Pflanzen AG, Christine Beuret
Werke: Ikenobo Ikebana Workshop Gartenfestival Zuchwil 2012